Die chemische Industrie Europas steht derzeit unter einem doppelten Veränderungsdruck. Einerseits verlangt der Weg zur Klimaneutralität energie- und ressourcenschonende Verfahren, andererseits zwingt die fortschreitende Digitalisierung zu neuen Arbeits- und Produktionsformen. Hinzu kommen die Vorgaben der europäischen Kreislaufwirtschaft sowie der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, die strenge Anforderungen an sichere und nachhaltige Stoffe stellen.
Diese gleichzeitigen Herausforderungen treffen auf eine Branche, die bereits mit hohen Energie- und Rohstoffpreisen, intensiver Regulierung und einer Auslastung von nur rund 74 Prozent ihrer Anlagen ringt. Werden Qualifikationen und Kompetenzen nicht gezielt weiterentwickelt, drohen Innovationsstau und Wettbewerbsnachteile.
Genau an diesem Punkt setzt ChemSkills an. Das Vorhaben vereint 35 Partner – unter anderem die SBG Dresden – aus Industrie, Forschung, Bildung und Sozialpartnerschaft, um eine gemeinsame Qualifizierungsstrategie für den Sektor zu entwerfen. ChemSkills versteht sich als Modellprojekt („Blueprint“) und steht im Einklang mit wesentlichen EU-Programmen wie dem European Green Deal, dem Paket zur Kreislaufwirtschaft und dem Pakt für Kompetenzen. Ziel ist es, eine europaweit abgestimmte Grundlage zu schaffen, mit der Betriebe, Berufsbildungseinrichtungen und Hochschulen ihre Aus- und Weiterbildungsangebote schnell und praxisnah an die neuen technischen, ökologischen und digitalen Anforderungen anpassen können.
Langfristige Leitidee
ChemSkills entwickelt eine belastbare Kompetenzstrategie, die den Wandel der chemischen Industrie hin zu Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung dauerhaft unterstützt. Damit schafft das Projekt eine gemeinsame Grundlage für Ausbildung, Qualifizierung und Personalentwicklung in ganz Europa.
Meilensteine bis August 2027
- Mindestens fünfzig grüne und digitale Schlüsselkompetenzen werden ermittelt, als Kompetenzkarten beschrieben und eindeutig in die europäischen Referenzsysteme ESCO und Europass eingeordnet.
- Zwölf neue Berufsprofile – vom Facharbeiter- bis zum Promotionsniveau (EQF 3–8) – werden ausgearbeitet, europaweit abgestimmt und in modernisierte Ausbildungs-, Fort- und Studiengänge überführt.
- Ein Weiterbildungsangebot mit mehr als dreißig frei nutzbaren Lernbausteinen entsteht. Es deckt sowohl Online-Module als auch virtuelle Labor- und Produktionsszenarien ab und lässt sich flexibel nach Qualifikationsstufe kombinieren.
- Mindestens 2 000 Teilnehmende – davon ein Viertel aus kleinen und mittleren Unternehmen – durchlaufen die Pilotkurse und liefern praxisnahe Rückmeldungen zur Wirksamkeit.
Besonderer Mehrwert
Alle Kompetenzbeschreibungen, Berufsprofile und Lernmaterialien werden in einem klar strukturierten Kompetenzgerüst verknüpft. Dieses Gerüst stellt sicher, dass Branchentrends, Qualifikationsanforderungen und Lerninhalte logisch aufeinander aufbauen und sich bei Bedarf problemlos anpassen oder erweitern lassen. Die enge Anbindung an das europaweite DRIVES-Rahmenwerk erleichtert zudem den Austausch mit benachbarten Industrien und reduziert Entwicklungsaufwand. Virtuelle-Realität-Trainings ermöglichen realitätsnahe Übungssituationen bei höchster Arbeitssicherheit und bringen neueste Lerntechnologien unmittelbar in die berufliche Praxis.
Arbeitsschritte / Methodik
- Erhebung des Kompetenzbedarfs
Literatur- und Quellenrecherchen, Trendanalysen sowie Delphi-Befragungen zeichnen ein detailliertes Bild der heutigen und künftigen Qualifikationslücken – sowohl im Gesamtsektor als auch in den sechs Teilbereichen Kunststoffe, Verbraucherchemikalien, Düngemittel, Kautschuk, Pharma und Petrochemie. - Aufbereitung in Kompetenzrahmen
Die gewonnenen Erkenntnisse werden in Kompetenzkarten (Skills Cards), Matrizen und Berufsprofile überführt und eindeutig ESCO- beziehungsweise Europass-Zuordnungen zugewiesen. - Entwicklung praxisnaher Lernangebote
Hochschulen, Berufsbildungseinrichtungen und Unternehmen erarbeiten gemeinsam modulare Lehr- und Lernbausteine. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf VR-gestützten Labor- und Produktionsszenarien, die sich nach EQF-Stufen flexibel kombinieren lassen. Ein Leitfaden „Grün-Digital-Zwilling“ unterstützt Lehrkräfte bei der Umsetzung. - Erprobung und Bewertung
In Betrieben, Berufsbildungs-Centern und Hochschulen – in Deutschland vor allem in der SBG – werden die Lernangebote getestet. Der Lernerfolg wird sowohl durch Selbsteinschätzung der Teilnehmenden als auch durch externe Fachbewertungen erfasst. - Optimierung, Transfer und Verbreitung
Die Auswertung der Pilotphase führt zu einer Überarbeitung der Lernmaterialien. Eine frei zugängliche Online-Plattform stellt sämtliche Ressourcen bereit, Interessengruppen-Foren fördern den Dialog mit Politik, Sozialpartnern und Industrie, und kurze Politikpapiere sichern die Verankerung der Ergebnisse in langfristigen Strategien.
Erwartete Ergebnisse
Bis zum Projektende liegt ein umfassender Fahrplan „Grüne und digitale Kompetenzen 2035“ vor. Er beschreibt in klaren Etappen, wie die chemische Industrie ihre Qualifizierungsarbeit an Klima-, Kreislauf- und Digitalzielen ausrichten kann. Darauf aufbauend werden zwölf modernisierte Berufsprofile veröffentlicht, die vom Facharbeiter bis zur forschungsnahen Qualifikation reichen und künftig als Referenz für neue Ausbildungs-, Fort- und Studiengänge dienen.
Zu jedem Profil entstehen frei zugängliche Lernbausteine – insgesamt mehr als dreißig – die sich flexibel kombinieren lassen. Sie reichen von kurzen Online-Modulen bis zu virtuellen Labor- und Produktionsszenarien, sodass Bildungsanbieter unterschiedlichste Lernpfade gestalten können. Alle Inhalte sind in einem strukturierten Kompetenzgerüst hinterlegt, das klare Bezüge zu ESCO und Europass herstellt und so die europaweite Vergleichbarkeit gewährleistet.
Die Pilotierung in Betrieben, Berufsbildungszentren und Hochschulen wird mindestens 2 000 Teilnehmende erreichen. Erwartet wird ein nachweisbarer Zuwachs an grünen und digitalen Kompetenzen, der den Unternehmen eine schnellere Einführung von „Sicher & Nachhaltig von Anfang an“-Prozessen ermöglicht, Rechtssicherheit erhöht und Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
Um die Ergebnisse langfristig nutzbar zu machen, wird das Kompetenzgerüst samt webbasiertem Kurskatalog nach Projektende in eine selbstfinanzierte europäische Kompetenzallianz überführt. Diese Allianz aktualisiert die Inhalte fortlaufend und öffnet sie schrittweise auch für andere energieintensive Branchen wie Zement oder Stahl. SBG-Kundinnen und -Kunden profitieren damit dauerhaft von modernen VR-Trainings und europaweit abgestimmten Kompetenzstandards, die direkt in das regionale Weiterbildungsangebot der SBG einfließen.
Einblicke & Infos
ChemSkills-Konsortiumstreffen Brüssel 1.-2. April 2025
Projektstruktur & Partner
Die Partnerschaft umfasst 35 Organisationen aus 15 EU-Mitgliedstaaten. Damit verbindet ChemSkills die gesamte Wertschöpfungskette der chemischen Industrie – von der Produktion bis zur beruflichen Bildung – und stellt sicher, dass die Ergebnisse europaweit nutzbar sind.
Federführung
- European Chemical Employers Group (ECEG) – strategische Gesamtleitung und Anbindung an europäische Industrieinitiativen.
- Chemical Industry Federation Finland (CIFF) – technische Koordination, Qualitätsmanagement und Berichtswesen.
Branchen- und Unternehmensverbände
- Cefic (Europäischer Chemieverband) mit Fokus auf Petrochemikalien.
- EuPC (European Plastics Converters) für den Kunststoffsektor.
- ETRMA (European Tyre & Rubber Manufacturers’ Association) für Kautschuk.
- Federchimica, ACEA (u. a. Automobilbranche – Schnittstelle für Kreislauf- und Digitalthemen).
Industrieunternehmen und Pilotbetriebe
- Produktionsstandorte großer Chemie- und Pharmaunternehmen in Deutschland, Italien, Finnland und den Niederlanden (z. B. BASF, Borealis, HEXPOL – je nach Teilsektor).
- Mehrere mittelständische Spezialchemie- und Kunststoffverarbeiter, die als Pilotbetriebe für die VR-Trainings fungieren.
Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- VSB – Technische Universität Ostrava (Tschechien) – Leitung des Arbeitspakets „Kompetenzanalysen“.
- Universität Twente (Niederlande) – Entwicklung der modularen Lernangebote.
- Technische Universität Wien, Maastricht University, Agencia Estatal CSIC (Spanien) sowie IKEM (Schweden) mit fachspezifischer Forschungskompetenz.
Berufsbildungs- und Weiterbildungsträger
- SBG Dresden und weitere Berufsbildungszentren aus aus Österreich, Italien, Kroatien und Rumänien übernehmen Entwicklungen und Pilotierung in ihren jeweiligen nationalen Ausbildungssystemen.
Sozialpartner und Netzwerke
- BAVC (Bundesarbeitgeberverband Chemie) – Vorsitz des externen Beirats.
- ECRN (European Chemical Regions Network) – Verbreitung in Politik und Regionen.
- Nationale Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen aus Finnland, Spanien und Frankreich sorgen für Akzeptanz der neuen Berufsprofile.
Diese klare Rollenverteilung stellt sicher, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, betriebliche Praxis und bildungspolitische Anforderungen von Beginn an miteinander verzahnt sind. Die SBG fungiert dabei als Schnittstelle zwischen europäischer Projektstrategie und konkreten Qualifizierungsbedarfen der chemischen Unternehmen in Deutschland.
Eckdaten & Links
- Projektlaufzeit: 01.09.2023 – 31.08.2027
- Förderprogramm: Erasmus+ (Ausschreibung ERASMUS-EDU-2022-PI-ALL-INNO-BLUEPRINT)
- Fördernummer: 101103234
- Offizielle Website: https://chemskills.eu/